Niklas Fanelsa studierte Architektur an der RWTH Aachen University und am Tokyo Institute of Technology. Nach seinem Studium arbeitete er bei De Vylder Vinck Taillieu in Gent und Thomas Baecker Bettina Kraus Architekten in Berlin. 2016 gründete Niklas Fanelsa das Architekturbüro Atelier Fanelsa mit Standorten in Berlin und Gerswalde. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der RWTH Aachen University, der BTU Cottbus-Senftenberg und der Bauhaus-Universität Weimar. 2019-20 arbeitete er als Emerging Curator am Canadian Center for Architecture in Montreal, Kanada. Niklas Fanelsa ist Preisträger der Deutschen Akademie Rom Casa Baldi.
Prof. Fanelsa vertritt die Auffassung einer erweiterten Architekturpraxis, welche auf der Gestaltung von Systemen im Feld der gebauten Umwelt basiert. Architektur und Design werden anwendungsorientierte Prozesse zum Erforschen von Herausforderungen unserer heutigen Gesellschaft. Zentrale Methoden sind dabei Reallabore, 1:1 Prototypen und Workshops. Wesentliche Themen seiner Arbeit sind zirkuläre Bausysteme, ganzheitliches Design und kooperative Projektformate. Niklas Fanelsa engagiert sich für die Etablierung von transdisziplinären Strukturen in der Umsetzung von Forschungsvorhaben und Unternehmensgründungen an der TUM.
Interview: Sophia Pritscher
Professor Fanelsa, wie sind Sie zu dem geworden, der Sie sind?
Niklas Fanelsa: Wahrscheinlich besteht mein Werdegang aus positiven Fügungen. Für mich war ein geplanter und strukturierter Lebenslauf nicht der zielführende Weg. Ich war immer in Bewegung und aus jedem neuen Schritt haben sich neue Konstellationen entwickelt. Oft habe ich Projekte angefangen, ohne direkt zu wissen, welche Ergebnisse zu erwarten sind, sondern weil diese sich für mich richtig und sinnvoll angefühlt haben.
Beispielsweise verbrachte ich während meines Architekturstudiums in Japan Zeit auf dem Land. Erst Jahre später zurück in Deutschland kamen diese Erfahrungen wieder in meinen Fokus und ich entwickelte ein Interesse am ländlichen Raum in meiner beruflichen Praxis. Es war eine intuitive Entscheidung thematisch in diese Richtung zu gehen. Etwas aus dem Bauch heraus zu entscheiden, hat für mich nichts Spontanes. Alle Eindrücke, Erlebnisse und implizites Wissen werden in solchen Entscheidungen unterbewusst mitverarbeitet. Daher ist es für mich wichtig, immer offen für neue Entwicklungen zu bleiben. Das gilt übrigens auch für meine neue Position als Architektur-Professor an der TUM: Ich will mein Wissen nicht nur weitergeben, sondern auch selbst weiterlernen gemeinsam mit den Studierenden, meinen Kolleg:innen und den Partner:innen in der Forschung. Es ist ein wenig, wie eine kontinuierliche Reise.
Wohin führt die Reise an der TUM?
Ich werde mich in der Lehre auch außerhalb der Hochschule bewegen und gezielt die aktuellen Herausforderungen in der Praxis mit den Studierenden untersuchen. Das bedeutet die Potentiale von regionalen Wertschöpfungsketten vor Ort zu untersuchen oder gemeinsam mit Unternehmen neue Baustoffe zu entwickeln. Wenn wir erst einmal vor Ort sind, werden sich viele weitere Themen ergeben, über die wir zu Beginn nicht nachgedacht haben: Wie kommen die Mitarbeitenden morgens zur Arbeit? In welchen Formen wird dort gearbeitet und wie sind die Arbeitsplätze gestaltet? In welchen Räumen findet das gemeinsame Essen und der Austausch statt? Woher kommen die Rohstoffe und die Energie zu den Herstellungsprozessen? So werden Unternehmen zu einem kleinen Ökosystem, ein Reallabor, in dem alle Aspekte des Systems eine Rolle spielen. Ich denke, dass wir uns bereits in der Ausbildung nicht nur auf die ursprünglichen Fragestellungen beschränken, sondern unerwartete Themen offen annehmen sollten und damit unsere berufliche Praxis erweitern. Diese Systeme und Prozesse werden wir in transdisziplinären Teams gestalten. Potenziell kann jede:r Teil des Teams sein und damit einen relevanten Beitrag leisten. Wir wollen an der Professur gezielt kooperative Projektformaten etablieren und mit Expert:innen, Anwohner:innen oder Politiker:innen in Austausch treten. Nur so werden wir ganzheitliche und resiliente Lösungen finden.
Welche Rolle spielt dieser ganzheitliche Ansatz in Ihrer Forschung?
Ich finde es grundsätzlich sehr inspirierend mit anderen Disziplinen ins Gespräch zu kommen, die auf den ersten Blick vielleicht gar nichts mit Architektur und Design zu tun haben. Daher ist es für mich naheliegend, dass die TUM School of Engineering and Design die Ambition formuliert eine große Bandbreite an verschiedenen Expertisen zu vereinen. Solche transdisziplinären Zusammenschlüsse gibt es erfreulicherweise auch in anderen Bereichen: Auf europäischer Ebene wurde die New European Bauhaus Initiative ins Leben gerufen, um Veränderungen im Bausektor anzuregen. Die Gestaltung der gebauten Umwelt ist schließlich sehr vielschichtig.
Konkret bildet sich das Thema auch in den angesprochenen Wertschöpfungsketten ab. Aktuell leben wir in einer globalisierten Welt, die Kompetenzen und Warenketten international externalisiert hat. Wir müssen deshalb überlegen, wie wir wieder stärker zu regionalen Wertschöpfungsketten zurückkehren können. Durch lokal vernetzte Strukturen können wir zurückholen, was durch die Globalisierung verloren gegangen ist. Hier können wir in unmittelbaren, persönlichen Kontakt treten mit den Personen, die beispielsweise in den Verarbeitungs- und Herstellungsprozess von Baumaterialien involviert sind. Es kann eine Kommunikationsplattform entstehen, die über das „Produkt Gebäude“ hinaus geht. In meiner zukünftigen Forschung möchte ich mit der Methode eines aktiven „Architektierens“ ansetzen, welche ganzheitlich die gesamte Umwelt mitdenkt und gestaltet.
Als Architekt und Gründer des Büros Atelier Fanelsa weisen Sie dem Ländlichen und Regionalen eine große Bedeutung zu. In einem Interview sagten Sie einmal: „Countryside is narrated by the city.”[1] Was meinen Sie damit? Wie verstehen Sie die Wechselwirkung von Stadt und Land?
Ländlicher Raum und urbane Zentren sind für mich nicht trennbar. Es sind zwei Seiten der gleichen Münze. Allerdings habe ich den Eindruck, dass der ländliche Raum von urbanen Zentren beschrieben und natürlich auch regiert wird. Gesetze werden in der Stadt gemacht, die sehr große Auswirkungen auf ländliche Regionen haben. Der ländliche Raum muss wieder anfangen, die eigenen Qualitäten zu erkennen und klar zu benennen – denn er ist für mich ein großer Potential-Raum. Wirtschaftliche und soziale Strukturen bauen auf persönlichen Beziehungen auf, welche die Erprobung von innovativen Formaten und deren positive Resultate begünstigen. Eine regionale Gemeinschaft für die Versorgung mit Holz nützt langfristig den Waldbesitzer:innen wie Zimmereibetrieben. Für mich spiegelt sich das auch im Begriff der „Kulturlandschaft“ wider: Landwirt:innen arbeiten mit dem, was ihnen bereitsteht, sie umsorgen die Landschaft. Durch dieses Kümmern entstehen mehr Reichtum und Diversität. Dieses Prinzip wiederum ist auch auf die Architektur übertragbar: Wir müssen uns wieder mehr kümmern und an dem Vorhandenen weiterbauen.
Auf welche Veränderungen hoffen Sie in Zukunft?
Für mich ist in den letzten Jahren unsere gegenwärtige Art zu Leben und zu Arbeiten in Frage gestellt worden. Es wird deutlich, wie fragil und anfällig unser aktuelles System ist. Baustoffe, die zeitweise kostengünstig und nachgefragt waren, unterliegen plötzlich starken Preisentwicklungen oder sind ökologisch gar nicht mehr vertretbar. Architektur ist sehr stark an die Ökonomie geknüpft, an Investitionen, die oftmals an Rendite ausgerichtet sind. Wenn nun andere Faktoren wieder stärker eine Rolle spielen, wie der ökologische Fußabdruck, können neue Möglichkeiten für Herstellungs- und Planungsweisen entstehen. Wir als Architekt:innen tragen die große Verantwortung neue Impulse zu geben und Innovationen zu befördern. Deswegen sind wir – als ganze Berufsgruppe – schon in der Ausbildung dazu angehalten, stärker ganzheitliche Veränderungen voranzutreiben. Insgesamt gibt es immer noch zu wenige Architektinnen und Architekten, die politisch arbeiten, die eigene Start-Ups gründen oder wirklich aktiv die Produktion der gebauten Umwelt mit beeinflussen. Wir dürfen nicht auf Andere warten, die uns damit beauftragen, sondern müssen in transdisziplinären Teams proaktiv die Systeme für die Gestaltung unserer gebauten Umwelt neu definieren.
[1] Platform PIONIRA: Niklas Fanelsa in Gerswalde on New Narratives for Rural Areas (en). Podcast, 2020. https://pioniraproject.com/niklas-fanelsa/