Interview: Susanne Höcht, Foto: Susanne Höcht
Janina, du hast Maschinenwesen sowohl auf Bachelor- als auch auf Masterniveau studiert. Wie hast du dich für dieses Studium entschieden?
Das kam bei mir über die medizintechnische Richtung. Ich habe nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr am Deutschen Herzzentrum in München gemacht. Während dieses Jahres habe ich überlegt, wie es weitergehen könnte, und bin dann auf die Medizintechnik und damit auf den Maschinenbau gekommen. Dabei habe ich gemerkt, dass man mit einem Maschinenbaustudium viele Möglichkeiten hat. Das Schöne am Maschinenbaustudium ist, dass man erst einmal eine ziemlich gute Grundausbildung bekommt. In den ersten Semestern hat man zum Beispiel Mathe, Physik, Chemie und Technische Mechanik. So kann man sich später im Studium entscheiden, in welche Richtung und in welche Branche man gehen möchte.
Du arbeitest seit drei Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Numerische Mechanik. Was ist Numerische Mechanik?
Die Numerische Mechanik ist im Grunde ein Unterfeld der Mechanik, das sich darauf konzentriert, komplexe Gleichungssysteme der Kontinuumsmechanik nicht analytisch, sondern numerisch zu lösen. Daher auch der Begriff „Computational“. Dies geschieht vor allem deshalb, weil viele reale Probleme zu komplex und umfangreich sind, um sie von Hand zu lösen. Durch die Programmierung von Software können solche Systeme gelöst werden, so zum Beispiel auch biomechanische Probleme. Diese sind oft super komplex, da die Geometrie nicht immer eindeutig ist und oft komplizierte Zusammenhänge zugrunde liegen. So unterscheiden sich biologische Materialien deutlich vom Verhalten von beispielsweise Kunststoff. Natürlich auch auf vielen anderen Bereichen.
Was fasziniert dich an der Numerischen Mechanik?
Mich faszinieren die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten von Computersimulationen, mit deren Hilfe man neue Erkenntnisse gewinnen kann und die Dinge ausprobieren kann, die sonst nicht möglich wären. Zum Beispiel werden im Kfz-Bereich Crashtests und in der Windkraftindustrie Strömungssimulationen durchgeführt. Solche Simulationen sind besonders wertvoll in Bereichen wie der Medizin, wo nicht einfach Experimente gemacht werden können.
Am Lehrstuhl für Numerische Mechanik, unter der Leitung von Professor Wall, wird viel zum Thema Biomechanik geforscht. Diese Ausrichtung faszinierte mich bereits während meines Studiums, insbesondere als ich erfuhr, dass dort auch Simulationen am Herzen durchgeführt werden. Dies führte dazu, dass ich mich während meines Studiums zunehmend auf dieses Gebiet spezialisierte und sowohl meine Bachelor- als auch meine Masterarbeit in diesem Bereich verfasste. Insbesondere als sich die Gelegenheit zu einem gemeinsamen Promotionsprojekt mit dem Deutschen Herzzentrum ergab, da ich bereits mit dem Zentrum vertraut war. Entsprechend konnte ich zu diesem gemeinsamen Projekt nicht nein sagen.
Mit welchem Forschungsthema beschäftigst du dich und worum geht es in dem Projekt?
Unser Fokus liegt konkret auf der numerischen Simulation der Koronarangioplastie. Bei dieser Behandlungsmethode, die häufig bei verengten Herzkranzgefäßen angewendet wird, wird ein Stent eingesetzt, um den Blutfluss wiederherzustellen und das Herz mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen. Unser Ziel ist es, diesen komplexen Prozess mithilfe von Computersimulationen zu modellieren und zu analysieren.
Wie trägt das Forschungsprojekt zu neuen Erkenntnissen in der Medizin bzw. Kardiologie bei?
Die Grundfragestellung meines Projekts befasst sich mit der Beobachtung, dass etwa zehn Prozent der Patienten nach einer Koronarangioplastie einen erneuten Engpass im behandelten Gefäß aufweisen, der eine neue, nicht identische Erkrankung darstellt. Diese Beobachtung legt die Hypothese nahe, dass der Einsatz eines Stents Wachstumsprozesse anregt, die dazu führen, dass das Gefäß erneut verengt. Dieses Phänomen ist ein mechanisches Problem, bei dem der Stent lokal Veränderungen auslöst, die zu einer neuen Krankheit führen. Bisherige medizinische Ansätze behandeln diese Erkrankung eher systemisch, indem sie Risikofaktoren wie Alter und Raucherstatus berücksichtigen und entsprechende Medikamente verschreiben. Jedoch ist das Problem äußerst lokal und variiert stark von Patient zu Patient sowie von behandeltem Gefäß zu behandeltem Gefäß. Das heißt, wenn mehrere Stents im selben Patienten eingesetzt werden, kommt es oft bei einem Stent zu einer Restenose und bei einem anderen nicht. Daher streben wir an, ein besseres Verständnis für diesen Prozess zu gewinnen, was durch normale Bildgebungsverfahren bisher nicht möglich war. Wir nutzen dazu patientenspezifische Simulationen, indem wir medizinische Bilddaten wie CT-Bilder verwenden, um individuelle Modelle zu erstellen und die Simulationen entsprechend anzupassen.
Warum gefällt dir das Thema besonders gut?
Mir gefällt das Thema, weil es interdisziplinär ist und das zugrunde liegende Problem schon eine große Motivation ist. Die Koronare Herzkrankheit ist weltweit häufig und gehören zu den Haupttodesursachen. Natürlich gibt zu diesem Gebiet schon sehr viel Forschungsarbeit, was auch einschüchternd ist. Aber durch den technologischen Fortschritt eröffnet dies auch viele Möglichkeiten, das Thema anders zu beleuchten. Insbesondere mit Computersimulationsstudien sind mittlerweile Aussagen möglich, die wirklich relevant sind. So sind Computertomographie-Bilder mittlerweile so hochauflösend, sodass daraus ein detailliertes und genaues Gefäßmodell in der Simulation erstellt werden kann. Davor war das gar nicht möglich. Auch Fortschritte im Bereich der Bildverarbeitung, zum Beispiel bei der Bildsegmentierung, haben die Arbeit erleichtert. Früher erforderte dies viel Zeit und Aufwand, aber jetzt geht es viel einfacher.
Am Lehrstuhl entwickeln wir verschiedene Methoden für numerische Simulationen, von theoretisch bis angewandt. Mein Projekt baut auf der Arbeit früherer Forschender auf und nutzt beispielsweise ein Balkenmodell für die Stents und neuartige Algorithmen für die Kontaktsimulation. All dies wäre vor einigen Jahren nicht möglich gewesen, aber jetzt können wir wirklich bedeutende Fortschritte machen und verstehen, was passiert. Es ist motivierend zu sehen, wie alles zusammenkommt und funktioniert.
Als abschließende Fragen, welche Erkenntnisse haben dich bisher im Projekt überrascht?
In letzter Zeit habe ich mich intensiver mit Bilddaten von einer größeren Anzahl von Patienten befasst. Dabei hat mich als Ingenieurin die Vielfalt der Daten überrascht. Besonders interessant waren die Angiographie-Daten, Röntgenaufnahmen, die während des Setzens des Stents aufgenommen werden. Sie zeigen den Verlauf des Eingriffs und die Veränderungen im Gefäß vor, während und nach dem Setzen des Stents. Diese Daten verdeutlichen die Komplexität des Prozesses, der bei jedem Patienten unterschiedlich verläuft. Häufig wird vor dem Einsetzen des Stents eine Vordehnung mit einem Ballon gemacht. Manchmal erfolgt diese Dehnung auch danach. Ich hatte mir diesen Prozess deutlich standardisierter vorgestellt. Die Realität ist aber, dass das bei jedem Patienten anders abläuft. Das hat meine Sichtweise auf meine Forschung verändert. Es unterstreicht die Bedeutung einer patienten- und läsionsspezifischen Herangehensweise. Die Vielfalt der Gefäßstrukturen und die individuellen Reaktionen auf den Eingriff zeigen, dass es keine Standardlösung gibt. Es ist wichtig, umfassende Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Gefäßbeschaffenheit und klinischem Verlauf zu gewinnen. Diese Erkenntnisse sind sehr überraschend und motivieren mich in meinem Forschungsprojekt.
Vielen Dank für deine Zeit, Janina.
Profil von Janina Datz: https://www.epc.ed.tum.de/lnm/staff/janina-datz/
Forschung am Lehrstuhl für Numerische Mechanik: https://www.epc.ed.tum.de/lnm/research/