Text und Bilder: Cornelia Freund
„Was macht eigentlich eine Bauingenieurin?“, fragt Johanna Weigand, Bachelor-Studentin Bauingenieurwesen an der Technischen Universität München (TUM), die Zweitklässler:innen der Münchner Grundschule an der Dieselstraße. Über „irgendwas mit Internet“ und „Autos bauen“ nähern sich die Kinder der gesuchten Tätigkeit: Hochhäuser, Tunnel oder Brücken planen und konstruieren. Für manche Mädchen und Jungen ist das im Kindesalter der Traumberuf. Und der könnte es auch bleiben, wenn sie nur wüssten, dass sich nach spektakulären Sandburgen und aufgetürmten Bauklötzen in ferner Zukunft auch Bauwerke aus Stahl, Beton oder Holz gestalten lassen. Denn eine wesentliche Ursache für den Mangel an Ingenieurinnen und Ingenieuren in Deutschland liegt darin, dass gerade im Grundschulalter Technik-Inhalte nicht ausreichend vermittelt werden.
Hier setzt „Ran an die Ingenieurwissenschaften“ an. Baumechanik-Lehrstuhlinhaber Prof. Gerhard Müller initiierte das Projekt im Jahr 2011, um bei Kindern im Grundschulalter Begeisterung für Technik zu wecken – die später unter Umständen in einem Studium der Ingenieurwissenschaften resultiert. Das Prinzip: Studierende des Bau- und Umweltingenieurwesens fungieren im Rahmen der Lehrveranstaltung als Mittler:innen von Naturprinzipien, da sie mit ihrer Jugendlichkeit und ihrem Enthusiasmus hervorragende Vorbilder für Kinder darstellen. „Ich fand die Idee super, Kindern physikalische Phänomene näherbringen zu können und gleichzeitig mein Interesse für die Umwelt weiterzugeben“, betont Umweltingenieurwesen-Studentin Nina Athen ihr Engagement, das für große Kinderaugen sorgt.
Die Teilnehmenden des Moduls erwerben dabei wichtige Schlüsselkompetenzen ‑ vom Aufbereiten eines Portfolios an kindgerechten Experimenten bis hin zum didaktischen Präsentieren in Kleingruppen. Das zahlt sich für die persönliche Entwicklung wie fürs Studium gleichermaßen aus: Für die Vorbereitungen und ihre dreimalige „Technikkommunikation in Grundschulen“ erhalten die Studierenden einen Leistungspunkt.
Bevor die Mysterien als Naturphänomene entschlüsselt sind, gibt es eine Menge für die Projektmitarbeitenden zu tun. Einen großen Teil der Organisation im Vorfeld übernehmen derzeit die beiden studentischen Hilfskräfte Moritz Stocker und Moritz Sesselmann. Sie nehmen Kontakt zu Schulen auf und vereinbaren die Termine, sie kümmern sich um die Koordination zwischen Lehrkräften und TUM sowie die Einteilung der Studierenden, und sie bereiten die Materialien für die Versuche vor. „Ich habe bereits im Vorjahr das Projekt durchlaufen und erlebe jetzt als Bindeglied, wie wichtig eine gute Abstimmung zwischen Schulen und Studenten ist“, beschreibt Moritz Stocker seine Aufgabe.
Rund 20 Schulen im Münchner Großraum besuchten die Studierenden mittlerweile. „Um den gängigen Stereotypen entgegenzuwirken und gezielt Schülerinnen anzusprechen, arbeiten wir mit gemischt-geschlechtlichen Gruppen in Schulen. Die angehenden Ingenieurinnen sind natürlich besonders beispielhafte Rollenmodelle“, sagt Dozent Felix Schneider, der das Lehr- und Lernformat koordiniert. „Außerdem legen wir einen stärkeren Fokus auf Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern aus bildungsfernen Familien. Sie wollen wir mit einer spielerischen Herangehensweise motivieren, sich für die MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik zu interessieren. Die Mädchen und Jungen beobachten Phänomene, fragen nach und interpretieren die beobachteten Ergebnisse. Die Wissenschaft lebt von Experimenten. Auch im schulischen Unterricht dürfen sie nicht fehlen. So können Kinder naturwissenschaftliche Phänomene selbst entdecken und erleben.“
Im Klassenzimmer wird es jetzt eng. Innerhalb eines auf dem Boden aufgezeichneten Rechtecks bewegen sich erst zwei, dann vier, dann sieben Kinder auf kleinstem Raum. Und dabei auch noch an den Händen halten – das erfordert unter anderem Konzentration, Gleichgewichtsgefühl und Kooperationsfähigkeit. Den Sinn des ersten Experiments lösen die Studentinnen bald auf: „Je mehr von euch sich als Teilchen in dem Rechteck bewegen, desto größer ist die Dichte des Stoffes“, erklärt Umweltingenieur-Studentin Sonja Richter das Teilchenmodell. Mit dieser vorbereitenden Übung geht es in Kleingruppen ran ans Thema Wasser, das für die zweiten Klassen vorgesehen ist. Beginnend mit dem Element Luft für Erstklässler:innen, bereiten die Studierenden für ihre Schulbesuche daneben auch methodisch Experimente für Magnetismus, Kraft und Reibung vor.
„Warum gehen tonnenschwere Schiffe nicht unter? Schauen wir doch mal, welche Dinge auf dem Wasser schwimmen“, leitet Johanna Weigand, Bauingenieurwesen-Studentin, die Schüler:innen zum Basteln mit Knete an. Die Kugel? Versinkt. Die Platte? Versinkt auch. Dann der Ah-Effekt. „Die Knete in Form einer Schüssel schubst genug Flüssigkeit zur Seite, um an der Wasseroberfläche zu bleiben. Genauso machen es Schiffe, die als riesige, tiefe Schüsseln Wasser verdrängen Wasser“, erklärt Johanna das Mysterium. Ob es darum geht, die Oberflächenspannung mit Hilfe von Büroklammern zu begreifen oder unterschiedliche Dichten von Flüssigkeiten durch Pflanzenöl oder Sirup zu testen: Die Versuche erweitern den Horizont der Kinder. Sie schaffen Verständnis für die Natur und trainieren das logische Denken.
Dass die Experimente nicht nur Spaß machen, sondern auch nützlich sind, bestätigt Klassenleiterin Ines Bölling: „Das Projekt mit der TUM eignet sich wunderbar, um Fach- und Sozialkompetenzen im Sachunterricht zu fördern, zum Beispiel das Trainieren der Auge-Hand-Koordination bei den Versuchen mit Wasser oder das gemeinsame Suchen nach einer Lösung.“ Die neugierigen Entdecker:innen erweitern so selbst ihr Wissen ‑ aktiv und zusammen mit ihren Mitschüler:innen.
Am Ende der Doppelstunde in der Schule beglückwünschen sich die Beteiligten mit einem Gummibärchen zum Erkenntnisgewinn: Spiel, Spaß, Spannung und Selbstwirksamkeit hatten alle – und nicht zuletzt bleibt das Bedürfnis, mehr wissen zu wollen über die Zusammenhänge in Natur und Technik. Egal, ob im Klassenzimmer oder im Hörsaal.
Links und Kontakte
Projekt „Ran an die Ingenieurwissenschaften“
Dozenten: Prof. Gerhard Müller, Felix Schneider
Kontakt für interessierte Schulen: Moritz Stocker, Moritz Sesselmann, radi.bm(at)ed.tum.de